Aquamanile - Die Sache mit dem Igel
Bayreuth/Nürnberg, 3. März 2024
Schaut mal was uns kürzlich vor die Linse gelaufen ist. Ein Aquamanile in Igelform. Gesehen im Lager(raum) eines befreundeten Reenactors. Das Original bzw. das zugrundeliegende Fundstück dahinter stammt aus Wien. Genauer, aus der Latrine im sogenannten Augustinerturms.
Solche Aquamanilen, ob wie hier aus Keramik oder Metallguss (meist Bronze), dienten zusammen mit einem Auffangbecken, zum Händewaschen. Zum einen im liturgischen Brauch im Rahmen der Heiligen Messe, zum anderen, aus hygienischen Gründen, bei Tisch (1). Wie die Funde zeigen, gleichermaßen auf Burgen, Klöstern und Städten, seltener dagegen im ländlichen Siedlungen (2). Aus Keramik findet man sie bereits ab ca. 1200 und durchgängig bis ins 16. Jahrhundert (3). Es gibt sie in vielerlei Ausgestalltung. Als Tiere (meist Pferd oder Hund), als Fabelwesen, verziert mit Ritzdekor, Glasur oder Engobebemalung.
Gemacht wurde der diesem Replik zugrundeliegende Fund, 1999 bei baubegleitenden archäologischen Maßnahmen beim Neubau eines Studiengebäudes. Genauer gesagt, in der Latrine eines Turmes der ehemaligen mittelalterlichen Stadtbefestigung Wiens, die dabei entdeckt wurde. Erbaut wohl im Zuge der Stadterweiterung zwischen ca. 1200 und der Mitte des 13. Jahrhunderts.
Die Latrine selbst, wurde erst 1354 nachträglich in den Turm eingebaut, der sich da dann im Bereich des 1327 dort angesiedelten Augustinereremitenklosters befand. Wohl als Abort des Klosters. Sein Ende fand der Turm dann um 1600 im Zuge des Ausbaus der Wiener Stadtbefestigung nach der Belagerung durch die Türken (4).
Damit ergäbe sich für die Datierung des Aquamanile ein Zeitfenster zwischen der Mitte des 14. bis ins 16. Jahrhundert. Allerdings lässt sich dieses Zeitfenster anhand eines in Brno, in der Tschechischen Republik, gemachten Fund deutlich reduzieren. Dort fand sich ein in die zweite Hälfte des 14. bzw. den Anfang des 15. Jahrhunderts datiertes Vergleichsstück. Eine Datierung, die auch für das Wiener Stück angenommen wird (5).
Erstaunlich ist aber nicht der Fund eines Aquamaniels in der Latrine eines Klosters an sich. Es ist vielmehr die Symbolik dieses Aquamanils in Form eines Igels. Denn der Igel galt schon in der Antike als Schädling, der die Weinstöcke plündert, indem er den Stock erklettert, die Beeren herunterwirft, sich in ihnen wälzt und sich mit ihnen aus dem Staub macht. Im Mittelalter wurde dann dieses Bild des Igels mit Beeren auf dem stacheligen Rücken zum Symbol des Teufel der die Gläubigen verführt. Darüberhinaus und auch noch nach dem Mittelalter glaubte man, dass Igel Hühner töten und ebenso, die Milch aus den Eutern der Kühe saugen (6). Erstaunlich also, dass ein so negativ belegtes Tier in Form eines Aquamanile in einem Kloster in Gebrauch war. Möglicherweise sollte das das so gestalte „Böse“ die Ordensleute ermahnen, ein gottgefälliges Leben zu führen (7).
1) Mehler 2013, S. 21
2) Gross 1995, S, 138
3) Mehler 2013, S. 24
4) Scharrer-Liska 2005, S. 13f.
5) Ebd, S. 22
6) Scharrer 2002, S. 164f.
7) Ebd, S. 166f.
Tischleuchte - Es werde Licht
Bayreuth, 21. Oktober 2023
Licht kann man in einem mittelalterlichen Haus nie genug haben. Und schöne Lampen auch nicht. Letzteres auch nicht im modernen Haus. So gesehen auf dem Küchentisch eines befreundeten Reenactors. In diesem Fall eine doch ziemlich grosse Tischleuchte. Gefertigt nach einem relativ vollständigen Original aus der Grabung Weinmarkt 11, "Wirtshaus Zum Wilden Mann" in Nürnberg. Datiert ist das gute Stück inzwischen in das 15. Jahrhundert (1).
Natürlich haben wir uns das Teil gleich mal vorgeknöpft. Laut dem Katalog zu Ausstellung "Aus dem Wirtshaus Zum Wilden Mann - Funde aus dem mittelalterlichen Nürnberg" von 1984 misst das Original ca. 28 cm in der Höhe und dürfte ursprünglich ca. 50 dieser dreieckige Öffnungen gehabt haben (2). Allerdings fehlt ihm die hier am Replik ergänzte Handhabe/Henkel.
Aufgrund der Gefäßform wird gemutmasst, das solche Leuchten im Freien verwendet wurden. Beispielsweise auf den Tischen im bewirteten Aussenbereich. (3) Natürlich wäre auch der Einsatz im Haus denkbar. Ebenso der Einsatz im privaten Bereich der Wirtsleute. Aber egal ob aussen oder innen, die Kerze erträgt einiges an Zugluft oder Wind, bevor ihr das Licht ausgeht.
1) Abweichend von der im Ausstellungskatalog gemachten Angabe. Siehe dazu: Scholkmann, Barbara: Bericht über das Kolloquium zur Ausstellung "Aus dem Wirtshaus Zum Wilden Mann - Funde aus dem Mittelalterlichen Nürnberg" am 21. September 1984 im Germanischen Nationalmuseum. In: Janssen, W., Steuer, H., Binding G. (Hrsg): Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters. Band 12 (1984). S. 225-226.
2) Kahsnitz 1984, S. 99.
3) Ebd, S. 98.
Gniedel- oder Glättstein - Eigentlich ja ein Glättglas
Bayreuth, 29. Juli 2023
Wir konnten einfach nicht widerstehen! Einfach nur weil wir es wissen wollten! Glätt- oder auch Gniedelsteine. Englisch: "linen smoother". Übersetzt: Wäscheglätter. Ob und wie funktionieren die Dinger? Also fix einen besorgt und ausprobiert.
Aber zuerst mal, was ist ein Gniedelstein? Entgegen dem Namen sind die mittelalterlichen Exemplare nur selten Steine. In den meisten Fällen sind es aus grünem, fast schwarzem Glas gefertigte kreisrunde Objekte mit einer deutlich konvexen Ober- und einer mässig konkaven Unterseite. Eigentlich wäre deshalb die Bezeichnung Glättglas zutreffender.
Verwendet wurden sie, das verraten allerdings erst neuzeitliche Schriftquellen, primär zum glätten von Kleidung. Vereinzelt auch von Leder und Papier und zum einarbeiten von Wachs als Imprägnierung. Gläserne Exemplare sind seit dem 2. Jahrhundert bekannt und werden erst in der späten Neuzeit durch das Bügeleisen verdrängt. Mit Schwerpunkt vom 9. bis zum 14. Jahrhundert. Verbreitet waren sie primär im westlichen Skandinavien und dem nordwestlichen Mitteleuropa, während sie in Süd- und Osteuropa nur vereinzelt gefunden wurden (1). Regional für Nordbayern zum Beispiel mit einem Exemplar in Würzburg. Dort grob zwischen Mitte 13. und Anfang 15. Jahrhundert datiert (2).
Und auch wenn jedwede Schriftlichkeit zu mittelalterlichen Glättgläsern fehlt, archäologisch lässt sich ihr Zusammenhang mit der Textilverarbeitung über Siedlungsbefunde sicher nachweisen. Finden sie sich doch immer wieder innerhalb von Hausgrundrissen. Durchgängig vom Früh- ins Spätmittelalter. Dabei auch immer wieder in Fundzusammenhang mit anderen Werkzeugen der Textilverarbeitung (3).
Aber jetzt zum Versuch. Als Versuchsobjekt dient ein Leinenhandtuch. Gewaschen, mit der Hand glattgestrichen und an der Leine getrocknet. Heraus kam, wie zu erwarten ein störrisch hartes Handtuch. Das wurden dann, auf ein Brett aufgelegt und mit dem Glättglas „gebügelt“. Ergebnis: Ein weich fliessendes Stück Stoff mit leicht seidigem Glanz. Genaus so wie es der englische Terminus "linen smoother" auf den Punkt bringt. Kann doch "smooth" nicht nur mit "glatt", sondern auch mit "weich" oder "geschmeidig" übersetzt werden. Die beim waschen entstanden Falten wurden durch das Glättglas aber nicht vollständig beseitigt, fallen aber auf dem weich fließenden Stoff kaum noch auf.
Link zum Thema: Wenn wir euch jetzt neugierig gemacht haben, dann schaut doch mal auf dem Blog WEAVING:HISTORY I FRAU BIRKENBAUM vorbei. Was dort über Glättgläser zusammen getragen wurde ist beeindruckend.
1) Steppuhn 1999, S. 114f.
2) Hembach 2003, S. 94f.
2) Steppuhn 1999, S. 118
Anthropomorphe Gürtelklemme - Echt nur für Schlüssel???
Bayreuth 21. Mai 2023
Was man so alles (wieder)findet, wenn man auf der Suche nach etwas ganz anderen ist. Dieses mal, eine figürlichen Gürtelklemme. Manchmal auch Gürtelhaken (1), Schlüsselhalter oder einfach Schlüsselmann genannt. Vor Ewigkeiten bei einem von uns bestellt, aber nie abgeholt. Gefertigt entsprechend einem Original aus der Fränkischen Schweiz und in das späte 15. Jahrhundert datiert (lt. Aussage des Auftraggeber).
Allgemein datieren solche figürlichen Gürtelklemmen von der zweiten Hälfte des 15. bis in den Anfang des 16. Jahrhunderts (2).
Ihre Produktionsstätten sind unbekannt. Für die süddeutschen Stücke vermutet man, aufgrund seiner florierenden Buntmetallproduktion, Nürnberg als Herstellungsort. Den der norddeutschen Funde dagegen, könnte man im Hanseraum vermuten (3).
Neben Klemmen mit männlichen Figuren, so wie hier im Bild, finden sich noch Figuren die ein tanzendes (oder umarmendes?) Paar darstellen.
In beiden Gruppen, finden sich zwei unterschiedliche Arten von (Schlüssel)Ringen. Zum einen, so wie hier im Bild, Figuren mit einem, maximal drei, fest angegossenen Ringen. Zum anderen, Figuren die auf einer runden Hülse "stehen", durch welche ein einzelner beweglicher Ring befestigt ist (4).
Getragen wurden sie über den Gürtel geschoben bzw. eingehängt. Was an den Ringen getragen wurde, ist unbekannt. Schlüssel wären da nur eine Möglichkeit (5).
Ebenfalls ungeklärt ist von wem sie getragen wurden. Vermutlich aber vorrangig von Frauen. Obliegt ihnen doch im mittelalterlichen Rechtswesen die Schlüsselgewalt über das Haus (6).
1) Der Fachterminus "Gürtelhaken" meint eigentlich Beschläge mit denen ein Gürtel verschlossen bzw. zusammengehalten wird.
2) Stoi, 2008, S. 93.
3) Heidel, 1994, S. 266.
4) Siehe https://www.stadt-muenster.de/denkmalpflege/stadtarchaeologie/funde/ungewoehnlicher-schluesselhalter. Stand 21. Mai 2023.
5) Stoi 2008, S. 91.
6) Heidel, 1994, S. 267.
Mehrpassbecher - Mein Becher hat viel Ecken
Bayreuth 29. April 2023
Vier- besser gesagt Mehrpassbecher. Eigentlich schade das sie "ausgestorben" sind. Fast jedenfalls. Bei uns fränkischen 14. Jahrhundert Darstellern sind sie ja noch allgegenwärtig.
Normalerweise hat da jeder von uns "seinen" Becher(typ). Je nach Region und Zeitstellung natürlich. Für uns ist das der Becher ganz links im Bild (H). Von allen anderen Bechertypen hiesse es für uns also, Finger weg. Zumindest für unsere 1320er Darstellung.
Das hat einen von uns aber nicht davon abgehalten, sich einen Überblick zu verschaffen. Ihre Vielfalt an Erscheinungsformen lädt ja geradezu dazu ein. Sind sie doch regional so stark ausgeprägt, das man ein paar Kilometer weiter eine ganz andere Form vorfindet. Gar nicht zu reden von ein paar Jahrzehnten später. Spannend wie wir finden. Beispiele gefällig? Gerne doch! Aber Vorsicht, alles hier ist voll 14tes und sehr fränkisch.
(A) Bayreuth, ehemalige Schmiedgasse, 2. Hälfte 14. Jahrhundert. (B) Nürnberg, Tetzelgasse, Anfang/1. Hälfte 14. Jahrhundert. (C) Nürnberg, in mehreren Grabungen vorkommend, 14. Jahrhundert. (D) Aus der Trebgast bei Harsdorf (Landkeis Kulmbach), Anfang 14. Jahrhundert. (E) Der einzige Fünfpass hier, Fränkische Schweiz, Mitte 14. Jahrhundert. (F) Nürnberg, Tetzelgasse, 1. Hälfte 14. Jahrhundert. (G) Nürnberg, Rathaus, spätes 14. Jahrhundert. (H) Bayreuth, Alte Lateinschule, 1. Hälfte 14. Jahrhundert.
Ergo: Wenn Ihr euch mit euerer Darstellung also einer Zeit und einer Region verschrieben habt (alles andere ist unserer Meinung nach … schwierig), braucht’s auch die korrekte Keramik dazu. Denn gerade Keramik hat eine stark ausgeprägte Regionalität.
Ein etwas anderer Kerzenständer - Recycling 1475-1500
Bayreuth, 8. April 2023
So naheliegend die Idee ist, wir hatten sie nicht! Wir haben sie hier nur mal auf die Schnelle nachempfunden … mit einem ohnehin schon schwer angeschlagenen Topf.
Entdeckt haben wir diese Art des Recycling eher zufällig bei einem Streifzug durch die digitalen Sammlungen diverser Museen. Genauer, in der „Collection online“ des The British Museum. Noch genauer, auf dem Werk "Die Geburt" des niederländischen Meisters FVB. Zu finden unter: Collection - Collection online. Da dann einfach "Master FVB" in die Suche eingeben und schon könnt ihr euch selbst ein Bild machen.
Aber Achtung: Versteht das gute Stück bitte jetzt nicht als Beleg für das ganze Mittelalter. Die Quelle ist nunmal 1475-1500. Und die Annahme, das sowas auch schon frühen (und natürlich auch nachmittelalterlich) gemacht wurde ist, wenn auch naheliegend und sehr wahrscheinlich, dünnes Eis. Also besser Finger weg. Es sei denn natürlich, ihr findet für "euere Zeit" eine ähnliche Quelle. Und wenn die dann auch noch frühes 14. Jahrhundert ist, würden wir uns freuen wenn ihr sie mit uns teilen würdet. Mail genügt.
Zwei Handlaternen des 14. Jahrhunderts - Kleine Taschenlampe brenn’
Bayreuth, 2. April 2023
Mal was ganz anderes in Sachen Laterne. Kleine Handlaternen aus Keramik. Die eine, im Bild links, als Replik eines stark beschädigten Original aus Keramik. Gefunden in Tábor, in der Tschechischen Republik und ins 14. Jahrhundert datiert. Mit seitlichem Griff, ähnlich den Henkeln an Krug oder Kanne, auf der dem „Fenster“ abgewandten Seite.
Die andere, rechts im Bild, auf einer stiel- oder stabähnlichen Handhabe sitzend. Nachempfunden entsprechen einer solchen Laterne auf einer Bildtafel (Rest eines Passionsaltars) in der Klosterkirche Heilsbronn bei Nürnberg. Datiert auf 1350. Hier, als Rekonstruktionsvorschlag, ebenfalls aus Keramik gefertigt.
Beide Laternen sind im Gegensatz zu den rundum leuchtenden, mit Hornplatten "verglasten" Laternen vergleichsweise klein und mit nur einer Lichtöffnung naturgemäß ungeeignet einen Raum oder Platz zu beleuchten. Ihr in eine Richtung gerichtetes Licht lässt vielmehr an die Nutzung analog einer modernen Taschenlampe denken. Also den Weg oder Raum vor dem Nutzer zu beleuchten ohne diesen zu blenden.
Natürlich haben wir die beiden Schätzchen gleich mal ausprobiert und wurden dabei in dreierlei Hinsicht überrascht. Zum einen werden die "Dächer" beider Laternen SEHR schnell SEHR heiß. Verbrannte Finger bei unsachgemässer Handhabung inklusive!!! Die Handhaben dagegen erwärmen sich auch bei längerer Nutzung kaum. Zum anderen, das durch die kleinen Öffnungen beschränkte, subjektiv schwache Licht, reicht vollkommen aus, bei Nacht den Weg nicht zu verlieren oder Hindernisse zu erkennen. Zu guter letzt: Es braucht erstaunlicherweise mehr als ein Lüftchen um die Kerzen auszublasen.