Fahrnis (auch Fahrhabe) - Mit Sack und Pack UND Haus

Bayreuth, 13. Oktober 2024

Auch schon mal gehört das man mittelalterliche Häuser umziehen konnte? Ganz so wie ein Möbelstück. Hä? So ein Quatsch. Wenn überhaupt, ist das „Gebäude versetzen“ doch eine moderne Praxis. In Freilichtmuseen zum Beispiel. So unser erster Gedanke. Aaaaaaber … damit lagen wir sowas von falsch. Denn tatsächlich wurden schon früh ganze Gebäude umgezogen. Zumindest Holzgebäude! Besser gesagt, sie wurden an ihrem ursprünglichen Platz zerlegt, auf Karren verladen, zum neuen Wohnort transportiert und dort wieder aufgebaut. Ganz so wie wir heute besonders große Möbelstücke zerlegen, in einen Transporter packen, zum neuen Wohnort bringen und dort wieder aufbauen.

Wie gesagt, wir wollten es nicht glauben und taten das, was wir immer tun, wenn uns etwas „unglaublich“ vorkommt. Recherchieren! Gesagt, getan. Rechner angeworfen, mit den Wörtern "Haus", "umziehen" und "Mittelalter" gesucht und sofort einen Treffer gelandet. Pack das Haus ein, wir gehen! auf www.srf.ch. Immerhin ein Anfang. Aber wie so oft im WWW, ein Anfang ohne Quellenangaben. Damit hat uns dann ein befreundeter Historiker versorgt. Such doch mal nach/mit „Fahrnis“ oder "Fahrhabe", war der kurze und knappe Tipp. Gesagt, getan. Und gefunden haben wir: Das "fahrende" Haus - Zur Mobilität des ländlichen Holzbaues in Mittelalter und Früher Neuzeit, von Gevert H. Nörtemann; Von fahrenden Häusern und wandernden Siedlungen, von Georges Descœudres und Die mobile Immobilie, von W. Haio Zimmermann. Genau das was wir gesucht haben.

Lest mal rein, es lohnt sich. Hier jetzt nur so viel: Fahrnis oder auch Fahrhabe beschreibt das bewegliche Eigentum einer Person. Darunter fallen nicht nur so naheliegende Dinge wie die persönliche Habe, Wertgegenstände, Hausrat, Vieh, Arbeitsgeräte und so weiter, sondern tatsächlich auch das Haus und gegebenenfalls die Nebengebäude. Sofern diese aus Holz errichtet waren und damit ab- und wieder aufgebaut werden konnten. Was wiederum aus Stein errichtete Gebäude ausschliesst.
In der rechtshistorischen Forschung geht man davon aus dass bereits die Germanen ihre Häuser als mobil betrachteten. So berichtet Plinius der Ältere in seiner Naturalis historia (um 50 n. Ch.) von auf Karren geladenen Häusern bei den Germanen.
Für das Frühmittelalter findet sich diese Rechtsauffassung unter anderem in der Karoli Magni notitia Italica (776 oder 781). Dort wird erläutert, dass am Ende eines Leihverhältnisses zwischen Grundherrn und Bauern das Leihgut (Land) beim Grundherrn verbleibt, aber die vom Bauern errichteten Gebäude diesem zufallen und von ihm mitgenommen werden können.
Ebenso zählt der Sachsenspiegel (1225) die (hölzernen) Gebäude zur Fahrnis. Auch hier kann also der scheidende Pächter die von ihm errichteten Gebäude mitnehmen. Allerdings muss der Pächter die Gebäude zuerst dem Grundherrn zum Kauf anbieten und erst wenn diese verzichtet, dürfen sie auch tatsächlich mitgenommen werden.

Diese Rechtsauffassung hat sich auch über das Mittelalter hinaus erhalten. Ein württembergisches Lagerbuch von 1523 bestätigt dies. Ebenso ein Spruch des Breidenbacher Schöffengerichts vom Februar 1627 um nur zwei Beispiele aus dem Gebiet des heutigen Deutschland zu nennen (1). Natürlich konnten Häuser nicht nur bei Umzug des Eigentümers, sonder auch nach Verkauf oder Erbschaft von ihren neuen Eigentümern "umgezogen" werden (2). Unnötig zu erwähnen dass es auch von dieser (wie von jeder anderen) Rechtsauffassung auch zahlreiche Ausnahmen gab (3).

Und dass Häuser auch tatsächlich versetzt/transloziert wurden und hier nicht nur die Eigentumsverhältnisse geregelt sind, ist ebenfalls vielfach dokumentiert und das nicht nur auf für das Gebiet des heutigen Deutschland (4). Und natürlich hinterlässt ein solcher „Umzug“ auch seine Spuren am Gebäude selbst, welche dann wiederum von der Archäologie erfasst werden. Ein Beispiel hierfür ist die Kantonsarchäologie Zug, der es bereits mehrfach gelungen ist, den Nachweis zu tatsächlich umgesetzten Häusern zu erbringen (5).

Bleibt noch die Frage, wie hoch der Anteil solcher "umgezogener" Gebäuden im Bestand war. Wie häufig kamen solche Translozierungen vor? Waren sie die Regel oder waren sie die seltene Ausnahme? Wohl eher ersteres, wenn man der Arbeit von Hajo Zimmermanns folgt. Die zahlreichen Beispiele die dort angeführt werden, legen das unserer Meinung nach nahe.
Ein Beispiel daraus wäre das Zitat einer Quelle, die Stadt Neuburg an der Donau betreffend. Diese litt im Mittelalter unter der immerwährend mäandrierenden Donau. Im Jahre 1212 wurde deshalb ein Teil der Stadt MITSAMT den Gebäuden verlegt (6). Die Gebäude wurden also nicht aufgegeben, sondern abgebaut/zerlegt und an geeigneterer Stelle wieder errichtet.

 

1) Nörtemann 1991. Bis hier, Seite 150ff.
2) Ebd. S. 156.
3) Ebd. S. 160.
4) Zimmermann 2007. S. 73ff.
5) Descœudres 2003 S. 17ff.
6) Zimmermann 2007. S. 74.

Bild: Fachwerk des Hinterhaus aus Eichstätt Im Fränkischen Freilandmuseum Bad Windsheim (Baugruppe Stadt). Das Gebäude wurde in letzet Minute vom Bauschut gerettet und 2009 (Foto) im Museum wieder aufgebaut.


… denn bishar warend sy nur tüchig gsin* - Fenster before Fensterglas

Bayreuth, 12. November 2024

Dass Glasfenster Licht ins Haus lassen, das Wetter dagegen draussen halten, ist heute eine Selbstverständlichkeit. Aber wie sah das im mittelalterlichen Haus aus? Vor allem, bevor es Glasfenster gab. Oder später dort, wo man sich Glas zunächst nicht leisten konnte oder wollte. Wie, oder besser durch was, kam das Licht durchs Fenster ins Haus?

In Freilandmuseen wird diese Frage mit Rekonstruktionen/Rekonstruktionsvorschlägen beantwortet, in deren Fensterrahmen, Leinen oder Pergament gespannt ist.

Aber worauf basiert diese Lösung? Wir haben sie eigentlich immer schon als Fakt angenommen. Frei nach dem Motto: Wird schon seine Richtigkeit haben … ist ja schliesslich Museum.

Bis zu einem (von uns fast vergessenem) Video des Archäologie-YouTubers Julian Decker ak Archäologie kurz erklärt ak IN TERRA VERITAS. Das nämlich warf bei uns die Frage auf, wenn es keine archäologischen Nachweiß gibt, worauf basieren diese Rekonstruktionen dann? Gibt es eventuell Schriftquellen? Oder ist das Ganze ein tradierter Mythos? Also haben wir uns auf die Suche gemacht. Und gefunden haben wir:

- Die Anschaffung von Leinwand für die Fenster der Berner Ratstube für 1378 (1).

- Eine Anleitung zum Anfertigen von "Fensterglas" aus Pergament, aus dem Chorherrenstift Seckau (Steiermark/Österreich) aus der Zeit um 1400 (2).

- Die Erwähnung von Leinwand für, die Fenster der Ratsstube, in den Hildesheimer Stadtrechnungen von 1410 (3).

- Fenster aus Pergament oder Tierblase 1474 in Breslau(4).

- Das in Zürich 1504 die Tuchfenster der Ratsstube durch (Glas)Scheiben ersetzt werden (5).

- Das im Konstanzer Baumeisterbuch von 1517, Leinwand für die Fenster im Rathaus abgerechnet steht (6).

- Und das 1551 die Fenster der Konstanzer Ratsstube mit neuem Tuch gemacht wurden (7).

Also ohne Wenn und Aber, Fenster die mit Leinwand, Pergament und Tierblasenhaut "verglast" waren, lassen sich zwar tatsächlich nicht archäologisch nachweisen, aber dann eben doch in den Archivalien. Wobei wir Euch hier und jetzt schuldig bleiben müssen, seit wann durch solche Fenster Licht ins mittelalterliche Haus kam.

 

* … denn bisher waren sie nur aus Tuch gewesen. Aussage zu den Vorgängerfenstern der ersten Glasfenster der Ratsstube in Zürich 1504.

Bild oben: Leinwandfenster in der sog. Herberge. Geschichtspark Bärnau-Tachov, 2023.
Bild unten: Pergamentfenster im Bauernhaus aus Höfstetten. Fränkisches Freilandmuseum Bad Windsheim, 2009.

1) Reith 2022. S. 220.
2) Dokonal u. Hofmarcher 2022. S. 1f.
3 u. 4) Kühnel 1996. S. 263.
5) Reith 2022. S. 220.
6 u. 7) Ebd. S. 221.


Schöner Wohnen - Frei nach Endres Tucher

Bayreuth, Bärnau, 19. August 2022.

Soeben hat uns uns ein Bild aus Bärnau erreicht. Die ersten sind schon da und die ersten Räume bezogen. Und auch wenn wir selbst bei "Vom Rasten auf Reisen" nicht dabei sein können, einiges aus unserem Equipment ist es. Als Teil der 14tes-Einrichtung der Wirtsleutekammer in der Herberge im Geschichtspark Bärnau - Tachov.

Endres Tucher hätte seine Freude daran. Schreibt er doch in seinem Baumeisterbuch der Stadt Nürnberg: « (…) item in des kochs kammer dorob dem kämmerlein ein thiesch auf 2 pocken und dorvor ein fürpanck . Item in derselben kamer ein spünpet, dorinnen ein strosack, ein pet, 1 polster, 2 küss, 2 leilach, 1 deck und ein fürpank vor dem pet. (…)» . Nah dran würd ich sagen. Aber fahrt doch mal hin und macht euch selbst ein Bild davon.

 

Bild: © Claudia Zimmermann


Alltag im Mittelalter - Tägliches Allerlei

Bayreuth, 29. Juli 2022

In den Tiefen des Webauftritts des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg versteckt sich ein echtes Schmuckstück. "Alltag im Mittelalter - Eine Digitalstory des Germanischen Nationalmuseums“. Kurzweilige erzählt, findet sich jede Menge wissenswertes zum alltäglichen Leben der Menschen damals. Fernab von Adel, Klerus und Patriziern. Vom Leben der, wie man heute sagt, normalen Menschen. Schaut doch mal vorbei. HIER der Link.

Bei der Gelegenheit ... der GNM_blog ist sowieso immer einen Besuch wert. Noch eins weiter, unter GNM_kids, wird sehr unterhaltsam mit dem Mythos der ach so unbeweglichen Ritter(Rüstungen) aufgeräumt. Beides, ebenso wie die Digitalstorys unter VERMITTLUNG – MUSEUM ENTDECKEN im Menü der Homepage des Museums versteckt.